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Trainingstagebuch

Geschrieben von Tina Heidinger | 06.06.24 16:45
Ich habe gerade nachgesehen, und mein letzter Eintrag ins Trainingstagebuch ist tatsächlich genau ein Jahr her! Leider hat das auch einen Grund. Ich halte unsere Reise sehr gerne hier fest - nicht nur für euch, sondern auch für mich, denn ich blicke sehr gerne mit einem Lächeln auf unsere alten Herausforderungen zurück, und erfreue mich daran, was wir alles zusammen gemeistert haben. Doch der aktuellste Stein, der auf unserem Weg lag, war zu schwer, um öffentlich darüber zu posten. Ich kann mit Kritik auf Social Media gut umgehen, solange ich mir sicher bin, dass ich das richtige tue. Das war ich mir in den letzten Monaten jedoch bei weitem nicht immer, und ich war nicht dazu bereit, mich in so einer Situation online angreifbar zu machen.
 
Bis in den warmen Herbst 2023 hinein haben Nero und ich tolle Fortschritte im Training gemacht. Er hat super aufgemuskelt, und sobald er eine neue Lektion gelernt hat, war er sofort 100% lektionssicher. Er hatte Spaß am lernen, und so sind wir in großen Schritten vorangekommen. Bis er im Winter plötzlich sein “vorwärts” verloren hat. Er wurde am Platz plötzlich total triebig, und dadurch fest und unrittig. Das kam mir sehr merkwürdig vor, denn eigentlich ist er ein sehr spritziges Pferd mit viel “go”. Natürlich habe ich direkt alles in die Wege geleitet: Tierarzt, mehrere Chiros/Osteos und der Sattler waren direkt am Start, doch keiner konnte ein Problem finden. Mein Schmied hat ihn 4x beschlagen, um eine Fühligkeit zu 100% ausschließen zu können. Wir haben das Training in verschiedene Richtungen angepasst und alles ausprobiert, von angepasstem Physiotraining bishin zur kompletten Pause. Ich habe ihn eingedeckt, als es richtig kalt wurde. Doch nichts davon wollte so recht fruchten. Nicht nur war er so triebig, dass er kaum zu reiten war - immer wieder war ich mir unsicher, ob er nicht auch lahmt. Jedoch immer nur mitten in der Einheit für 1-2 Tritte, sodass ich es kaum greifen konnte. Beugeproben waren immer alle negativ, und letztendlich wurde ich von einer Tierärztin gefragt, warum ich mir denn so sicher bin, dass er nicht einfach nur faul ist? Nein, dachte ich mir… Nero ist nicht faul. Er hat ganz sicher seine Gründe. Nur konnte mir die einfach monatelang niemand benennen.
 
Kurzzeitig habe ich tatsächlich geglaubt, dass er vielleicht einfach den Spaß an der Platzarbeit verloren hat. Im dunklen Winter waren wir viel weniger im Gelände unterwegs als sonst - vielleicht ist ihm das Training zu monoton geworden. Also habe ich für noch mehr Abwechslung gesorgt, habe versucht das “Vorwärts” komplett neu mit positiver Verstärkung aufzubauen, aber weder hat es funktioniert, noch hatte ich ein gutes Gefühl dabei. Wir waren in einer Abwärtsspirale.
 
Im Februar 2024 habe ich mich mehrmals beim Training filmen lassen, um Videomaterial für die Tierärzte zu sammeln, die mir irgendwie nicht so recht glauben wollten. Außerdem habe ich noch einmal einen Anlauf gestartet und einen Fachtierarzt für Orthopädie kontaktiert, damit Nero noch einmal von den Ohrspitzen bis zu den Hufen komplett durchgecheckt wird.
 
Und dann hatten wir tatsächlich eine - niederschmetternde - Diagnose: Nero muss wohl ganz am Anfang unserer gemeinsamen Zeit mal mit seinem vollen Gewicht auf die linke Hüfte gestürzt sein. Dabei hat er sich das ISG schwer verletzt. Die Details sind für dieses Posting zu kompliziert, aber in Folge des Traumas ist sein linkes Hinterbein vom ISG abwärts sehr instabil, und sein Rücken durch die muskuläre Kompensation sehr empfindlich. Mein Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt, war zu 100% richtig, denn ganz viele kleine und große Probleme, die ich von Beginn an mit ihm hatte, lassen sich nun ganz logisch auf diese Ursache zurückführen.
 
Dass die Verletzung links ist und nicht beidseitig, ist der einzige Grund, warum er überhaupt noch reitbar ist. Ich muss sagen, ich war komplett am Boden zerstört. Es mag egoistisch klingen, aber ich hatte Gründe, warum ich mir ein junges, gesundes Sportpony gekauft habe - und plötzlich hatte ich ein Rehapferd, plus Tierarztkosten im vierstelligen Bereich.
 
Unser Orthopäde hat mir jedoch einen Weg aufgezeigt, und war guter Dinge, dass mit dem für Nero optimalen Trainingsprogramm alles so gut werden kann, dass er sogar symptomfrei und voll belastbar sein wird. Er hat auch prophezeit, dass es Nero sehr viel besser gehen wird, sobald es draußen wieder konstant über 20°C hat. Das ist nun 3 Monate her, und ich habe natürlich alles gegeben: Aufwendiges Deckenmanagement, eine auf Reha angepasste Fütterung, und natürlich haben wir meinen Trainer ins Boot geholt, um den passenden Trainingsplan zu entwickeln. Ziel ist, das linke Hinterbein muskulär so gut aufzubauen und zu stabilisieren, dass er die Verletzung gut kompensieren kann. Wer schonmal nach einer schweren Verletzung in Physiotherapie war, weiß, dass dies kein Zuckerschlecken ist. Doch wir haben sofort gesehen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.
 
Und was soll ich sagen: Die Ergebnisse sind eigentlich unglaublich! Von der ersten Trainingseinheit weg wurde es von Woche zu Woche besser. Mittlerweile denke ich mit Schrecken an den Winter zurück, den wir komplett hinter uns gelassen haben, denn Nero geht besser als je zuvor! Tatsächlich ist er voll belastbar. Wir können alles machen von Dressur über Springen bishin zu Wanderritten. Aber das wichtigste ist, dass er wieder zu seiner riesengroßen Freude an der Bewegung zurückgefunden hat. Er ist alles andere als faul, das kann ich euch sagen
 
Natürlich wird uns das Thema immer begleiten. Ich werde immer dafür sorgen müssen, dass er nasskaltem Wetter nicht “schutzlos” (also deckenlos) ausgesetzt ist, denn der Weg zur Verspannung ist bei ihm ein sehr kurzer. Natürlich dauert seine Ausbildung insofern länger, als dass uns sein linkes Hinterbein immer eine Extraportion Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen abverlangt. Natürlich müssen alle Faktoren (Haltung, Training, Fütterung, Management, Hufbearbeitung usw.) wie Zahnräder 100% perfekt ineinander greifen, damit das “System” gut hält. Natürlich wird er bessere und schlechtere Tage haben. Aber Fakt ist: Er ist ein absolut großartiges und ehrgeiziges Sportpony, und wir haben noch viel gemeinsam vor
 
Wenn ihr möchtet, kann ich mir vorstellen, mal ein YouTube Video zu schneiden, mit dem “vorher/nachher”-Videomaterial aus der Zeit der Ursachenforschung bis jetzt. Schreibt gerne in die Kommentare, ob euch so etwas interessieren würde!
 
(Bild: Eine Momentaufnahme aus der heutigen Einheit - Manche sehen ein 0815 unperfektes Reitfoto… ich sehe ein stabiles und kräftiges linkes Hinterbein! Ich glaube, man sieht mir die Freude an Galopp und Traversale sind, wie ihr euch vorstellen könnt, aufgrund der benötigten Kraft aus einem einzelnen Hinterbein unsere großen Endgegner )