Es ist der Goldstandard der Pferdefütterung, über Mineralfutter die Nährstoffe zu ergänzen, die im Grundfutter nicht vorhanden sind. Besonders eifrige PferdebesitzerInnen schicken das Heu zur Analyse ins Labor und errechnen basierend auf dem Ergebnis die optimale Ration. Wer sich dabei unsicher fühlt, findet Unterstützung bei DienstleisterInnen, die neben der Rationsberechnung auch einen guten Überblick über den Futtermittelmarkt haben, und gleich die passenden Zusatzfuttermittel empfehlen können. Am Ende stimmt die Bilanz, und das Pferd ist optimal versorgt - oder?
Blickt man in den Humanbereich, so haben Nahrungsergänzungsmittel einen zielgerichteten Einsatzzweck. “Nahrungsergänzungsmittel müssen eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung zeigen. Sie können aber eine abwechslungsreiche Ernährung nicht ersetzen.” liest man beispielsweise bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Entsprechende Hinweise befinden sich auch direkt auf den entsprechenden Produkten. Wie wäre es, wenn sich ein Mensch nur noch von Linsen ernähren würde, um den Energie- und Proteinbedarf zu decken, und alle weiteren Nährstoffe nur durch Nahrungsergänzungsmittel abdecken würde? Rein rechnerisch wäre die Ration vielleicht bedarfsdeckend. Warum sagt uns unser Bauchgefühl, dass das kein gesunder Lebensstil sein kann? Obwohl die Ernährung eines Durchschnittsbürgers wahrscheinlich wesentlich mehr Nährstoffmängel aufweist?
Gesunde Ernährung ist eben viel mehr, als nur die Summe aller Mineralstoffe und Vitamine. Um uns gesund zu ernähren, benötigen wir Menschen eine möglichst große Vielfalt an möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln. Es ist die Ausgewogenheit und die große Bandbreite an verschiedenen Nährstoffen, die unser Darmmikrobiom nährt und widerstandsfähig hält. Je größer die Vielfalt an frischen Lebensmitteln, desto größer die Diversität des Darmmikrobioms.
Warum ist ein artenreiches Darmmikrobiom so wichtig? Genau wie bei einem Wald führt Artenarmut dazu, dass ein einziger Stressor viel Schaden anrichten kann. Der Borkenkäfer kann nur deshalb ganze Wälder dahinraffen, weil der Mensch diese Fichten-Monokulturen so angelegt hat. Echte Artenvielfalt könnte dies viel besser abfangen und das Ökosystem könnte sich selbst erhalten und erholen. Ähnlich verhält es sich mit dem Darmmikrobiom. Dieses schützt das Pferd gegen Umwelttoxine und spielt eine große Rolle bei der Immunabwehr.
Warum ist es für uns ganz logisch, dass Menschen eine abwechslungsreiche Ernährung brauchen, finden es aber okay, unseren Pferden nur Ergänzungsfutter als einzige echte Nährstoffquelle zur Verfügung zu stellen? Auch, wenn es in der Rationsberechnung korrekt aussieht - Mineralfutter kann keine artenreiche Ernährung ersetzen. Haltungsformen, in denen das Pferd lediglich Heu und eine abgefressene Grasnarbe zur Verfügung hat, haben gesundheitliche Effekte, die das Mineralfutter alleine nicht abfangen kann.
In der Futterberatung bin ich oft mit solchen Situationen konfrontiert. Hat das Pferd einmal “Stoffwechselsstörungen” (was auch immer das genau bedeuten mag), richtet sich der Blick sofort auf die Anschaffung von Zusatzfutter. Weder Heuqualität noch die Zusammensetzung der Weide (auch im späteren Verlauf der Saison) finden ausreichend Beachtung. Es frustriert mich insbesondere deshalb, weil ich diesen Pferden mit der Empfehlung von Zusatzfutter in der Regel nicht weiterhelfen kann. Der gewünschte Effekt wird nicht eintreten, da man die Nährstoffversorgung eben nicht derart isolieren und völlig auf die Gabe von Zusatzfutter auslagern kann.
Pferde brauchen Zugang zu einer Vielfalt an Gräsern, Sträuchern, Kräutern, Rinden, Wurzeln und Samen, denn daraus zehren sie wichtige Nährstoffe für ein artenreiches Darmmikrobiom. Wir schmieren Zinkpaste auf Wunden, um Keime abzutöten - und füttern, ohne mit der Wimper zu zucken, hochdosiert Zink im Fellwechsel… Ja, Zink wirkt antibakteriell. Aber nicht nur in Wunden, sondern auch im Darm. Das schadet insbesondere Pferden, die ohnehin schon kein robustes Darmmikrobiom haben.
Bedeutet das nun, dass Mineralfutter gefährlich ist? Nein, keineswegs. Aber es sollte eben nicht einfach irgendetwas nach Bauchgefühl eingesetzt, sondern gezielt dosiert werden. Unabhängig davon muss ein Umdenken stattfinden, hin zu einer artenreichen Ernährung für ein gesundes Darmmikrobiom. Schlechte Heuqualität und abgefressene Monokultur-Grasnarben müssen den gleichen, negativen Stellenwert in der Pferdehaltung einnehmen. Es darf gerne zur Gewohnheit werden, Snackspaziergänge in den Wald zu machen, anstatt das Pferd am Parkplatz-Grünstreifen anzugrasen. Pferdeweiden dürfen in Aussaat und Pflege wieder stärker als Nahrungsquelle ernstgenommen, anstatt zur reinen Auslauffläche degradiert zu werden.